Dienstag, 17. November 2020

Wohnen im Ruhrgebiet: Zechenhäuser und Zechensiedlungen

In einer gemeinsamen Studie von EBZ Business School und InWIS – Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung wurden die Wohnungsmärkte in NRW und im Ruhrgebiet analysiert. Eine besondere Wohnungsform sind dabei die Zechensiedlungen bzw. die Zechenwohnungen, die in diesem Beitrag betrachtet werden.

1.       Historie

Die Häuser in den Siedlungen wurden von den Zechen und Industrieunternehmen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts als „Kolonien“ für ihre Arbeiter und Angestellten errichtet. Arbeiterwohnungen gehören zur Infrastruktur der Fabriken. Der Bergbau und die Stahlindustrie prägten die Städte im Ruhrgebiet über viele Jahrzehnte. Kohleabbau und Stahlherstellung erlebten fast zeitgleich ihre Blütezeit. Kohle wurde für die Stahlproduktion gebraucht. Vor allem nördlich der Ruhr kamen sie gut an den Brennstoff heran, so dass hier ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine Zeche nach der anderen aus dem Boden schoss.

Dazu wurden viele Arbeitskräfte benötigt, sodass die Einwohnerzahl rapide anstieg. Arbeiter und Bergleute mit speziellem Know-how konnten erheblich mehr Lohn als in ihren früheren Arbeitsbereichen erhalten. Viele Migranten kamen aus dem Osten und konnten so der Armut in ihren Heimatländern entfliehen. Darüber hinaus wurden ihnen auch Wohnungen zur Verfügung gestellt, die für die seinerzeitigen Verhältnisse mietgünstiger, besser gebaut und ausgestattet waren sowie einen kurzen Weg zum Arbeitsplatz hatten. Zwar waren die Mieten günstig, aber dafür der Mieterschutz schwach: Wer seinen Job verlor, musste ausziehen. Nachteilig war außerdem, dass die Anwohner Lärm und Dreck der naheliegenden Werke zu ertragen hatten.

Die Häuser waren äußerst begehrt und multifunktional. Im Keller konnte Kohle gelagert, im Schuppen Schweine und Hühner gehalten und im Garten Gemüse angepflanzt werden. Die geschichtliche Bauform der Siedlungen überliefert historisch-soziale Lebensformen. Die Arbeitersiedlungen integrierten bei ihrer Entstehung die vorindustriellen Erfahrungen in die industriellen Lebensweisen. Dieser Übergang ist nirgendwo besser gelungen als im Ruhrgebiet.

In den Nachkriegsjahren wurden aufgrund der Wohnungsnot diese Häuser zunächst wieder aufgebaut und zum Teil ohne Rücksicht auf bisherige städtebauliche Strukturen nachverdichtet. Danach aber führten der ökonomische Strukturwandel im Revier wie auch eine neue Stadtentwicklungspolitik zu einer veränderten Bedeutung der Zechenhäuser. Ab den 1960er Jahren haben die wirtschaftlichen Probleme des Bergbaus und der Niedergang der Stahlindustrie ab Mitte der 1970er Jahre einen gewaltigen Strukturwandel im Ruhrgebiet ausgelöst. So verloren die Betreiber der Hütten und Zechen aufgrund der nachhaltigen Krise zunehmend das Interesse daran, diese Wohnsiedlungen instand zu halten. Sie erwogen immer häufiger, die Liegenschaften zu verkaufen. Die wirtschaftliche Entwicklung, die Nähe der Siedlungen zu den Einrichtungen und die Infrastruktur machten diese Standorte für einen Abriss und verdichteten Neubau äußerst interessant.

In den 60er- und 70er-Jahren hat sich zudem eine stark industrialisierte Produktion von Wohnungen entwickelt, die sich durch eine bedeutend effizientere Ausnutzung der bebaubaren Fläche auszeichnete. Die historischen Zechensiedlungen zeichnen sich zwar durch eine geringe Wohndichte und Ausstattung, dafür aber durch eine umfangreiche Begrünung, ein funktionierendes soziales Gefüge und eine gute städtebauliche Qualität aus.

Die Arbeitersiedlungen (ebenso wie die Altstadtquartiere) galten zu der Zeit städtebaupolitisch als historisch überholt. Aus städtebaulicher Sicht repräsentierten diese Siedlungen eine Epoche, mit der das Ruhrgebiet im Zuge des Rückzugs der Montanindustrie und der Umorientierung der Region brechen wollte. Der politische Wille, die ehemaligen Industrie- und Siedlungskulturgüter zu erhalten, fehlte. Ehrgeizige Stadtväter wollten damals „alles“ neu haben. Die geplanten Abrisse der Siedlungen oder deren Privatisierung führten allerdings zur Gegenwehr der dort lebenden Bewohner. Einzelne Häuser und auch ganze Quartiere wurden daher unter Denkmalschutz gestellt. Die Funktion der Zechensiedlungen hat sich infolgedessen verändert, jedoch deuten noch heute Zechenhaus-Siedlungen auf die Bergwerksgeschichte hin.

2.       Heutige Situation und Perspektiven

Im Laufe der Zeit haben viele der Siedlungen ganz oder teilweise ihren ursprünglichen Charakter durch die Zerstörung im Krieg, Abriss und Umgestaltung verloren. Es finden sich aber im ganzen Ruhrgebiet noch einzelne Immobilien, ganze Straßenzüge oder auch Stadtteile, die diese Entwicklungen überdauert haben. In vielen Städten gibt es daher noch heute diese fürs Ruhrgebiet so typischen kleinen Siedlungshäuser mit meist großen Gärten und Anbauten. Die Arbeitersiedlungen im Ruhrgebiet sind das unverkennbare Gesicht der industriellen Blütezeit des Reviers und faszinieren in ihrer Funktion als Zeugen einer anderen Zeit.

Aufgrund der auch noch aus heutiger Sicht guten städtebaulichen Qualität zusammen mit einer soliden Bauweise und einem individuellen Charakter sind die Zechenimmobilien ein interessantes Investmentobjekt. Ein Refurbishment lohnt sich damit zum einen aufgrund der interessanten Rendite für diese Objekte. Zum anderen bleibt damit aus gesellschaftlicher Sicht diese prägende Immobilienart auch für zukünftige Generation erhalten.

Zechenhäuser werden vor diesem Hintergrund zunehmend attraktiver, sodass diese Siedlungen im Ruhrpott nicht mehr abgerissen, sondern saniert werden. Das Interesse bei Käufern und Mietern ist groß, da eine hohe Attraktivität noch auf relativ niedrige Preise trifft. Mieter und Käufer schätzen die Atmosphäre der Zechenhäuser und die großen Gärten, sodass sanierte Bergmannshäuser zunehmend Liebhaber finden. Früher war eine Zechensiedlung eher eine abgeschlossene Gesellschaft, da nur Bergarbeiter hier wohnen durften. Aber heute kann sich jeder eine solche Wohnung nutzen, sei es als Mieter oder als Käufer.

3.       Beispiele

Zu den Aushängeschildern der Zechenhaussiedlungen gehören die Margarethenhöhe in Essen und die Siedlung Eisenheim in Oberhausen. Ihre Baumeister haben sie architektonisch aus einem Guss errichtet, etwa im Stil der englischen Gartenstadt. Die Fassaden der Häuser in den Arbeitersiedlungen sind oftmals einheitlich gestaltet, dennoch hebt sich jedes Gebäude von anderen ab. Andere Siedlungen bestechen durch ihre Vielfalt. Sorgfältig saniert haben viele Siedlungen ihre unverwechselbare Identität bewahren können.

Die Siedlung Margarethenhöhe in Essen ist ein Juwel unter den Arbeitersiedlungen. Stifterin war Margarethe Krupp, die die Siedlung anlässlich der Hochzeit ihrer Tochter in Auftrag gab. Die Margarethenhöhe wurde im Stil der Gartenstadt gebaut und war die erste ihrer Art in Deutschland. Bis heute hat sie ihren grünen und idyllischen Charme bewahrt. Die Siedlung Eisenheim in Oberhausen mit ihren mehr als 150 Jahren ist die älteste Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet. Schon ihr Name gibt einen Hinweis auf den Grund ihres Entstehens – sie wurde für die Arbeiter der Gutehoffnungshütte und ihre Familien gebaut.

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