Dienstag, 17. November 2020

Wohnen im Ruhrgebiet: Zechenhäuser und Zechensiedlungen

In einer gemeinsamen Studie von EBZ Business School und InWIS – Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung wurden die Wohnungsmärkte in NRW und im Ruhrgebiet analysiert. Eine besondere Wohnungsform sind dabei die Zechensiedlungen bzw. die Zechenwohnungen, die in diesem Beitrag betrachtet werden.

1.       Historie

Die Häuser in den Siedlungen wurden von den Zechen und Industrieunternehmen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts als „Kolonien“ für ihre Arbeiter und Angestellten errichtet. Arbeiterwohnungen gehören zur Infrastruktur der Fabriken. Der Bergbau und die Stahlindustrie prägten die Städte im Ruhrgebiet über viele Jahrzehnte. Kohleabbau und Stahlherstellung erlebten fast zeitgleich ihre Blütezeit. Kohle wurde für die Stahlproduktion gebraucht. Vor allem nördlich der Ruhr kamen sie gut an den Brennstoff heran, so dass hier ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine Zeche nach der anderen aus dem Boden schoss.

Dazu wurden viele Arbeitskräfte benötigt, sodass die Einwohnerzahl rapide anstieg. Arbeiter und Bergleute mit speziellem Know-how konnten erheblich mehr Lohn als in ihren früheren Arbeitsbereichen erhalten. Viele Migranten kamen aus dem Osten und konnten so der Armut in ihren Heimatländern entfliehen. Darüber hinaus wurden ihnen auch Wohnungen zur Verfügung gestellt, die für die seinerzeitigen Verhältnisse mietgünstiger, besser gebaut und ausgestattet waren sowie einen kurzen Weg zum Arbeitsplatz hatten. Zwar waren die Mieten günstig, aber dafür der Mieterschutz schwach: Wer seinen Job verlor, musste ausziehen. Nachteilig war außerdem, dass die Anwohner Lärm und Dreck der naheliegenden Werke zu ertragen hatten.

Die Häuser waren äußerst begehrt und multifunktional. Im Keller konnte Kohle gelagert, im Schuppen Schweine und Hühner gehalten und im Garten Gemüse angepflanzt werden. Die geschichtliche Bauform der Siedlungen überliefert historisch-soziale Lebensformen. Die Arbeitersiedlungen integrierten bei ihrer Entstehung die vorindustriellen Erfahrungen in die industriellen Lebensweisen. Dieser Übergang ist nirgendwo besser gelungen als im Ruhrgebiet.

In den Nachkriegsjahren wurden aufgrund der Wohnungsnot diese Häuser zunächst wieder aufgebaut und zum Teil ohne Rücksicht auf bisherige städtebauliche Strukturen nachverdichtet. Danach aber führten der ökonomische Strukturwandel im Revier wie auch eine neue Stadtentwicklungspolitik zu einer veränderten Bedeutung der Zechenhäuser. Ab den 1960er Jahren haben die wirtschaftlichen Probleme des Bergbaus und der Niedergang der Stahlindustrie ab Mitte der 1970er Jahre einen gewaltigen Strukturwandel im Ruhrgebiet ausgelöst. So verloren die Betreiber der Hütten und Zechen aufgrund der nachhaltigen Krise zunehmend das Interesse daran, diese Wohnsiedlungen instand zu halten. Sie erwogen immer häufiger, die Liegenschaften zu verkaufen. Die wirtschaftliche Entwicklung, die Nähe der Siedlungen zu den Einrichtungen und die Infrastruktur machten diese Standorte für einen Abriss und verdichteten Neubau äußerst interessant.

In den 60er- und 70er-Jahren hat sich zudem eine stark industrialisierte Produktion von Wohnungen entwickelt, die sich durch eine bedeutend effizientere Ausnutzung der bebaubaren Fläche auszeichnete. Die historischen Zechensiedlungen zeichnen sich zwar durch eine geringe Wohndichte und Ausstattung, dafür aber durch eine umfangreiche Begrünung, ein funktionierendes soziales Gefüge und eine gute städtebauliche Qualität aus.

Die Arbeitersiedlungen (ebenso wie die Altstadtquartiere) galten zu der Zeit städtebaupolitisch als historisch überholt. Aus städtebaulicher Sicht repräsentierten diese Siedlungen eine Epoche, mit der das Ruhrgebiet im Zuge des Rückzugs der Montanindustrie und der Umorientierung der Region brechen wollte. Der politische Wille, die ehemaligen Industrie- und Siedlungskulturgüter zu erhalten, fehlte. Ehrgeizige Stadtväter wollten damals „alles“ neu haben. Die geplanten Abrisse der Siedlungen oder deren Privatisierung führten allerdings zur Gegenwehr der dort lebenden Bewohner. Einzelne Häuser und auch ganze Quartiere wurden daher unter Denkmalschutz gestellt. Die Funktion der Zechensiedlungen hat sich infolgedessen verändert, jedoch deuten noch heute Zechenhaus-Siedlungen auf die Bergwerksgeschichte hin.

2.       Heutige Situation und Perspektiven

Im Laufe der Zeit haben viele der Siedlungen ganz oder teilweise ihren ursprünglichen Charakter durch die Zerstörung im Krieg, Abriss und Umgestaltung verloren. Es finden sich aber im ganzen Ruhrgebiet noch einzelne Immobilien, ganze Straßenzüge oder auch Stadtteile, die diese Entwicklungen überdauert haben. In vielen Städten gibt es daher noch heute diese fürs Ruhrgebiet so typischen kleinen Siedlungshäuser mit meist großen Gärten und Anbauten. Die Arbeitersiedlungen im Ruhrgebiet sind das unverkennbare Gesicht der industriellen Blütezeit des Reviers und faszinieren in ihrer Funktion als Zeugen einer anderen Zeit.

Aufgrund der auch noch aus heutiger Sicht guten städtebaulichen Qualität zusammen mit einer soliden Bauweise und einem individuellen Charakter sind die Zechenimmobilien ein interessantes Investmentobjekt. Ein Refurbishment lohnt sich damit zum einen aufgrund der interessanten Rendite für diese Objekte. Zum anderen bleibt damit aus gesellschaftlicher Sicht diese prägende Immobilienart auch für zukünftige Generation erhalten.

Zechenhäuser werden vor diesem Hintergrund zunehmend attraktiver, sodass diese Siedlungen im Ruhrpott nicht mehr abgerissen, sondern saniert werden. Das Interesse bei Käufern und Mietern ist groß, da eine hohe Attraktivität noch auf relativ niedrige Preise trifft. Mieter und Käufer schätzen die Atmosphäre der Zechenhäuser und die großen Gärten, sodass sanierte Bergmannshäuser zunehmend Liebhaber finden. Früher war eine Zechensiedlung eher eine abgeschlossene Gesellschaft, da nur Bergarbeiter hier wohnen durften. Aber heute kann sich jeder eine solche Wohnung nutzen, sei es als Mieter oder als Käufer.

3.       Beispiele

Zu den Aushängeschildern der Zechenhaussiedlungen gehören die Margarethenhöhe in Essen und die Siedlung Eisenheim in Oberhausen. Ihre Baumeister haben sie architektonisch aus einem Guss errichtet, etwa im Stil der englischen Gartenstadt. Die Fassaden der Häuser in den Arbeitersiedlungen sind oftmals einheitlich gestaltet, dennoch hebt sich jedes Gebäude von anderen ab. Andere Siedlungen bestechen durch ihre Vielfalt. Sorgfältig saniert haben viele Siedlungen ihre unverwechselbare Identität bewahren können.

Die Siedlung Margarethenhöhe in Essen ist ein Juwel unter den Arbeitersiedlungen. Stifterin war Margarethe Krupp, die die Siedlung anlässlich der Hochzeit ihrer Tochter in Auftrag gab. Die Margarethenhöhe wurde im Stil der Gartenstadt gebaut und war die erste ihrer Art in Deutschland. Bis heute hat sie ihren grünen und idyllischen Charme bewahrt. Die Siedlung Eisenheim in Oberhausen mit ihren mehr als 150 Jahren ist die älteste Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet. Schon ihr Name gibt einen Hinweis auf den Grund ihres Entstehens – sie wurde für die Arbeiter der Gutehoffnungshütte und ihre Familien gebaut.

Dienstag, 27. Oktober 2020

Wohnen im Ruhrgebiet: preiswert in NRW

 

In einer gemeinsamen Studie von EBZ Business School und InWIS – Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung wurden alle Städte über 20.000 Einwohner im Ruhrgebiet (46 Städte) analysiert. Das Ruhrgebiet wird oft nicht eindeutig abgegrenzt, wobei hier die Städte des „Regionalverband Ruhr“ betrachtet werden.

Im Ruhrgebiet zeigen sich deutliche Unterschiede, dies gilt sowohl für die Rahmenbedingungen mit Bevölkerungswachstum und Einkommenshöhe als auch bei den Belastungen der Haushalte, wenn sie ein Haus kaufen oder eine Wohnung mieten. Das obige Schaubild zeigt die Position der Ruhrgebietsstädte im NRW-Vergleich, wobei sich deutliche Unterschiede zeigen, die im Folgenden näher analysiert werden sollen.

1.       Rahmenbedingungen für den Wohnungsmarkt

1.1       Große Städte wachsen stärker

Die demografische Entwicklung ist ein zentraler Faktor für die Wohnungsnachfrage. In den 46 Städten des Ruhrgebiets leben insgesamt 5,0 Mio. Menschen, das sind gut ein Drittel der Menschen in NRW. Die Ruhrgebietsstädte haben im NRW-Vergleich zu ihrer Platzierung nach Bevölkerungsgröße eine unterdurchschnittliche Bevölkerungsentwicklung. Insgesamt ist in diesem Jahrzehnt die Bevölkerung nur leicht gewachsen und schwächer als im NRW-Vergleich, dabei gab es neben 28 wachsenden auch 16 schrumpfende Städte.

Dabei ist die Bevölkerung in allen kreisfreien Revierstädten gestiegen, während es bei kreisangehörige Städten sowohl steigende als auch rückläufige Bevölkerungszahlen im letzten Jahrzehnt gab. Die Urbanisierung und insbesondere die zunehmende Attraktivität der größeren Städte zeigen sich auch im Revier deutlich. Etwas ab dem Kulturhaupstadt-Jahr 2010 wuchsen die kreisfreien Großstädte kontinuierlich stärker als die kreisangehörigen Städte. Die stärksten Rückgänge sind in den Kreisen Ennepe-Ruhr-Kreis sowie Recklinghausen festzustellen.

1.2       Niedrigste Haushaltseinkommen in den größten Städten

Das Haushaltsnettoeinkommen ist der geeignete Indikator zur Beurteilung der Einkommenssituation von Mietern und Eigentümern von Wohnraum. Dieses lag im Ruhrgebiet 2018 bei fast 39.000 Euro im Jahr und damit um über 6 Prozent unter dem NRW-Vergleichswert. Dabei weist Lünen mit gut 29.000 Euro das niedrigste und Haltern am See mit knapp 57.000 Euro das höchste Haushaltseinkommen auf.

Bei einem Städtevergleich haben die größten Städte im Revier die niedrigsten Haushaltseinkommen und umgekehrt. So weisen drei der sechs kleinsten Städte das höchste Einkommen auf und die 5-kleinsten Städte haben gut 50 Prozent mehr Haushaltseinkommen als der Durchschnitt der 10-größten Städte im Pott.

2.       Wohnungsmarkt

2.1    Erschwinglichkeit

Der Kaufpreis für Häuser liegt im Ruhrgebiet bei durchschnittlich rund 290.000 Euro und das reicht von Fröndenberg/Ruhr (233.000 Euro) bis Mühlheim an der Ruhr (gut 385.000 Euro). Die Kaufpreise im Ruhrgebiet liegen im Schnitt rund 3,5 Prozent unter dem Niveau von NRW, was sich daran zeigt, dass zum einen nur 4 Revierstädte einen Kaufpreis haben, der unter den Top-50 in NRW liegt. Zum anderen gibt es eine Ballung dieser Städte im NRW-Mittelfeld. Die Extremwerte bei den Kaufpreisen in NRW nach oben und unten fehlen weitgehend im Ruhrgebiet.

Innerhalb des Ruhrgebiets befinden sich die höchsten Kaufpreise in den großen Städten, während die niedrigen Preise eher in den kleineren Städten sind. Die vier teuersten Städte sind unter den 13-größten Städten des Reviers, dagegen gibt es in den kleinen Städten (über 20.000 Einwohner) auch die geringsten durchschnittlichen Hauspreise. Gleichzeitig befinden sich aber nur 3 Städte im Revier, die im letzten Viertel des Rankings der Kaufpreise in NRW liegen.

Auf den Indikator Erschwinglichkeit wird zurückgegriffen, da Aussagen über die Höhe des Kaufpreises nur bedingt aussagekräftig sind. Es wird das unterschiedliche Einkommen der Haushalte berücksichtigt: wie viele Jahreseinkommen muss ein Haushalt aufbringen, um sich in seiner Stadt ein Haus leisten zu können. Durchschnittlich musste ein Haushalt im Ruhrgebiet 7,7 Jahreseinkommen für den Kauf eines Hauses ausgeben. Die Spanne reicht bei den betrachteten Städten von Hamminkeln (4,7-fache) bis zu Bochum, das mit 11,1 Haushaltseinkommen bei diesem Indikator der teuerste Standort ist. In rund einem Viertel der Städte des Ruhrgebietes sind weniger als 6 Jahreseinkommen aufzuwenden.

Die Ausgaben (in Relation zum Einkommen) sind stark korreliert mit der Größe einer Stadt. So gehören 5 Städte mit dem höchsten Aufwand zu den 10 größten Städten des Reviers. Dagegen finden sich bei den kleineren Städten auch die Orte mit dem geringsten Erschwinglichkeitswert.

Aufgrund der niedrigen Einkommen im Ruhrgebiet haben die Haushalte relativ viele Haushaltseinkommen aufzuwenden, um ein Haus zu kaufen. Dieser Indikator relativiert sich aber, wenn berücksichtigt wird, dass auch Haushalte von außerhalb des Reviers hier ein Haus kaufen wollen. Dann zeigt sich das preiswerte Ruhrgebiet. In einzelnen Städten müssten dann nur noch zwischen 5,6 und 9,2 Jahreseinkommen aufgewendet werden, falls das NRW-Durchschnittseinkommen betrachtet wird. Das kann das Ruhrgebiet interessant für Zuziehende machen, die vor allem in die einkommensschwächeren Orte ziehen wollen.

2.2    Mietbelastung niedrig und trotzdem stark unterschiedlich

Die Wohnungsmiete ist im Ruhrgebiet vergleichsweise niedrig, wenn auch recht unterschiedlich. Keine Stadt des Ruhrgebietes findet sich in dem teuersten Viertel der Städte NRWs, hingegen sind sie aufgrund des niedrigen Mietniveaus sehr stark im unteren Viertel NRWs vertreten. Das zeigt sich auch in der durchschnittlichen Miete, die in NRW bei 6,66 Euro und im Ruhrgebiet bei nur 6,17 Euro liegt. Die durchschnittliche Miete im Revier reicht von 5,40 Euro in Bergkamen bis zu 7,13 Euro in Herdecke.

Bei der Mietbelastung werden die unterschiedlichen Einkommen der mietenden Haushalte berücksichtigt. Diese liegt zwischen 10 und 25 Prozent in NRW, im Revier ist sie mit Werten zwischen 11 und 19 Prozent deutlich geringer. Auch im Durchschnitt ist die Mietbelastung im Ruhrgebiet deutlich niedriger als in NRW insgesamt, auch wenn sich aufgrund des relativ geringen Einkommensniveaus die Städte des Ruhrgebiets relativ gleichmäßig über die gesamte Spanne bei den Mietbelastungen verteilen.

Nur 2 Städte des Reviers (Dortmund und Kamp-Lintfort) weisen mit einem Anteil von 17,6 und 19,1 Prozent des Einkommens eine relativ hohe Belastung auf, sodass sie unter die Top-20 in NRW kommen. Hingegen gibt es 17 Revierstädte mit einer sehr niedrigen Mietbelastung, die dann auch im hinteren Viertel NRWs landen.

Das preiswerte Mietniveau im Ruhrgebiet zeigt sich auch bei einem anderen Vergleich. Wenn ein Haushalt aus dem übrigen NRW ins Ruhrgebiet zieht und ein entsprechend durchschnittliches Haushaltseinkommen aufweist, reduziert sich oftmals die Mietbelastung noch einmal deutlich.

3.       Fazit

Im Ruhrgebiet zeigen sich deutliche Unterschiede, dies gilt sowohl für die Rahmenbedingungen mit Bevölkerungswachstum und Einkommenshöhe als auch bei den Belastungen der Haushalte, wenn sie ein Haus kaufen oder eine Wohnung mieten.

Die Ergebnisse im Einzelnen:

·       Bei den Kaufpreisen liegt das Ruhrgebiet im Mittelfeld NRWs, nur wenige Städte weisen relativ hohe oder niedrige Preise auf. Aufgrund des relativ niedrigen Einkommens müssen aber die Haushalte der Revierstädte entsprechend viele Jahreinkommen für den Erwerb eines Hauses ausgeben.

·       Die Mieten im Revier sind vergleichsweise niedrig, so dass keine Revierstadt im obersten Viertel NRWs auftaucht. Auch wenn sich die Vorteilhaftigkeit für Mieter bei Berücksichtigung des Einkommens etwas relativiert, ist die Mietbelastung im Ruhrgebiet immer noch deutlich unterhalb des Niveaus von NRW.

·       Das niedrige Kaufpreis- und Mietniveau im Ruhrgebiet ist interessant für Haushalte, die von außerhalb in das Revier ziehen wollen. Der Belastung sowohl bei der Erschwinglichkeit als auch bei der Mietbelastung kann teilweise deutlich sinken.

·       Das Potenzial des Ruhrgebiets in der neuen Urbanisierung zeigt sich deutlich in den Großstädten der Region. Dort gibt es nicht nur eine gute Infrastruktur und großstädtisches Flair, sondern auch erschwingliche Wohnungen. Dies spiegelt sich auch in einer wachsenden Bevölkerung wider.

Dienstag, 6. Oktober 2020

Einzelhandel in Corona-Zeiten: Alles katastrophal?

 1.        Einleitung

Der Einzelhandel war in besonderem Ausmaß vom Coronavirus betroffen, so waren durch Hamsterkäufe zum Teil Waren im Lebensmitteleinzelhandel einige Zeit ausverkauft und gleichzeitig waren Geschäfte insbesondere in den Innenstädten geschlossen. Es ist daher zu lesen, dass sich die Corona-Pandemie zur größten Krise für den Einzelhandel seit der Nachkriegszeit entwickeln wird.

Im Folgenden soll auf drei Aspekte eingegangen werden, die immer wieder in diesen Nachrichten stehen. Die folgenden Aussagen basieren dabei auf der Annahme, dass es zukünftig nur zu maximal regional begrenzten, aber nicht größeren Lockdowns kommt.

2        Entwicklung der Kundenfrequenz

Weit verbreitete negative These: In der Corona-Krise ist Einkaufen für viele Konsumenten zum notwendigen Übel geworden. Maskenpflicht und Abstandsregeln halten die Verbraucher vom Einkaufen ab.

Meine Meinung: Zwar hatte der Lockdown nachdrückliche Folgen, da aufgrund der geschlossenen Läden die Frequenzen in den Innenstädten zurückgingen. Jedoch erholt sich der stationäre Einzelhandel (insgesamt; aber z. B. Ausnahme Mode) langsam wieder, die Besuche steigen kontinuierlich an. So kommt aus dem Bereich der Shopping Center-Betreiber die Nachricht, dass sich die Passantenfrequenzen inzwischen erholt und fast das Vorjahresniveau erreicht haben.

Gleichzeitig kehrt das Vertrauen der Verbraucher nach und nach zur Normalität zurück. Nach dem Corona-Schock hat sich nach Angaben der GfK das Konsumklima deutlich verbessert. Es zeigt sich eine V-förmige Entwicklung mit einer raschen Erholung. Die Lust am Einkaufen ist zurückgekehrt. Die politischen Maßnahmen der Steuersenkung haben dazu maßgeblich beigetragen, wobei vor allem größere Anschaffungen profitieren. Da der Mehrwertsteuereffekt befristet ist, wird sich dadurch kein nachhaltiger Effekt einstellen, sondern eher erhebliche Vorzieheffekte.

Statt über die Maskenpflicht zu klagen, wäre es daher ratsam hervorzuheben, dass durch die Masken und die Abstandsregelungen der Einkauf sicher ist: „Einzelhändler achten darauf, dass sich in ihren Geschäften niemand mit dem Virus ansteckt“.

3        Entwicklung des Umsatzes

Weit verbreitete negative These: Der Verband erwartet für den Einzelhandel in Deutschland in 2020 ein Umsatzminus von vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zum einen ist dies auf die bereits erfolgten Umsatzeinbrüche zurückzuführen. Begründet wird dies zum anderen damit, dass das durch die Pandemie veränderte Konsumentenverhalten auch nachhaltig andauern und damit zum Nachteil der stationären Händler wird. Gestützt wird diese These oftmals durch Umfragen bei den Verbrauchern, die künftig vermehrt online einkaufen wollen.

Meine Meinung: Die sehr negativen Meinungen lassen sich mit den amtlichen Statistiken nicht belegen. Die Prognosen für 2020 können nur dann eintreten, wenn noch von einem deutlichen Einbruch im II. Halbjahr ausgegangen wird.

Für das I. Halbjahr vermeldet nämlich das Statistische Bundesamt, dass der Einzelhandelsumsatz insgesamt um nominal rund 3,0 Prozent und preisbereinigt um 2,0 Prozent angestiegen ist. Wie nicht anders zu erwarten war, nahm der Internethandel drastisch zu. In den ersten 6 Monaten dieses Jahres betrug der Umsatzzuwachs knapp 20 Prozent und war damit doppelt so stark wie in den Jahren zuvor. Aber auch der Umsatz im Einzelhandel in Verkaufsräumen (stationär) konnte nominal leicht zulegen und stagnierte preisbereinigt.

Nach Sparten haben die systemrelevanten Supermärkte und SB-Warenhäuser mit einem Umsatzplus von 10 Prozent profitiert, während Waren- und Kaufhäuser die größten Rückgänge aufweisen. Bei den Sortimenten litt vor allem der Handel mit Textilien und Bekleidung, da die Geschäfte zeitweise schließen mussten. Der Umsatzrückgang in dem Segment Mode wird sich insbesondere in den Innenstädten zeigen, wo sich viele Modegeschäfte befinden. Knapp 10 Prozent Umsatzanstieg verzeichneten hingegen die Lebensmittelhändler, die in der Krise als systemrelevant galten.

Der wachsende Online-Handel geht zu Lasten des stationären Einzelhandels, was die deutlich höheren Wachstumsraten beim E-Commerce zeigen. Aber noch sind üblicherweise die absoluten Zuwächse (in Mrd. Euro) im traditionellen Einzelhandel höher und es werden die wesentlich höheren Umsätze erzielt, auch wenn die Wachstumsraten anderes vermuten lassen.

4        Insolvenzen und Geschäftsaufgaben

Weit verbreitete negative These: Der deutsche Einzelhandel rechnet wegen der Corona-Krise mit bis zu 50.000 Insolvenzen. Aufgrund der vierwöchigen Schließung von Geschäften aus dem Nicht-Lebensmittel-Bereich habe die Branche bereits rund 30 Mrd. Euro Umsatz verloren, was bei einigen Tausend Unternehmen zur Geschäftsaufgabe führen wird. Nach einer jüngst veröffentlichten Studie des Handelsverbands Deutschland (HDE) sehen sich gut 80 Prozent der Händler in ihrer Existenz bedroht.

Quelle: Statistisches Bundesamt

Meine Meinung: Zwar ist es richtig, dass es immer weniger Unternehmen im Einzelhandel gibt, aber das ist ein langfristiger Trend (s. Chart). Im Durchschnitt sind im letzten Jahrzehnt jedes Jahr rund 5.000 Unternehmen vom Markt verschwunden. Nicht nur in einzelnen Segmenten oder Betriebsformen, die besonders unter den Maßnahmen gegen das Coronavirus leiden, sondern auch im Einzelhandel insgesamt ist mit mehr Unternehmensinsolvenzen, aber nicht in der Anzahl, zu rechnen. Im Übrigen ist die Prognose von 50.000 Insolvenzen schon seit einigen Jahren immer wieder zu hören.

5        Vermietungs- und Investmentmarkt Einzelhandelsimmobilien

Die Coronakrise hat nicht nur den Einzelhandel betroffen, sondern hat ihre Auswirkungen auch auf den Handel mit Einzelhandelsimmobilien. Auf dem Einzelhandels-Vermietungsmarkt hat die Pandemie deutliche Spuren hinterlassen. Der Flächenumsatz verlor laut JLL im ersten Halbjahr rd. 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, die Anzahl der Anmietungen ging mit nahezu einem Drittel noch stärker zurück. Seit Ende Juni steigt die Nachfrage allerdings wieder. Die Mieten bleiben anhaltend unter Druck. Gingen früher nur die Mieten von Geschäften in Randlagen zurück, stagnieren seit wenigen Jahren auch die Mieten in den 1a-Lagen der großen Städte (unabhängig vom Coronavirus).

Der Umsatz auf dem Retail-Investmentmarkt lag im I. Halbjahr deutlich über dem Vorjahresniveau, jedoch ist das Ergebnis durch einige große Portfoliotransaktionen verzerrt. Werden nur die Einzeldeals betrachtet, ist ein Rückgang der Aktivitäten um ein Drittel festzustellen. Ursächlich dafür sind u. a. die fehlenden großen Deals und der Einbruch der Aktivitäten in den A-Städten. Aufgrund der mangelnden Aktivitäten sind Aussagen über die Entwicklung der Renditen nur schwerlich möglich. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese Assetklasse mit höheren Risikoprämien und daher höheren Renditen rechnen muss.

6        Fazit

Der stationäre Einzelhandel steht unter Druck, aber nicht erst seit dem Ausbruch der Pandemie. Das Coronavirus beschleunigt Prozesse, die schon lange vorher begonnen hatten. Vieles wäre mit der Zeit auch so gekommen, aber nun wird es in mancher Hinsicht schneller gehen. Einzelne Bereiche des Einzelhandels sind stark betroffen, jedoch ist insgesamt die Lage im Einzelhandel nicht so dramatisch wie sie teilweise dargestellt wird.

 

Dienstag, 22. September 2020

Brauchen wir noch so viel Bürofläche wie heute?

 

1        Einleitung

Bei vielen Prognosen über die zukünftige Bedeutung des Homeoffice drängt sich die Frage auf, ob die Unternehmen heute nicht über zu viel Büroraum verfügen. Nach dem Beginn der Lockdown-Maßnahmen haben diverse Marktbeobachter und Medien bereits das Ende des klassischen Büros ausgerufen. Einzelne Immobilienexperten erwarten auch, dass dadurch längerfristig ein deutliches Überangebot an Büroraum entsteht. Die folgenden Aussagen basieren dabei auf der Annahme, dass es zukünftig nur zu maximal regional begrenzten, aber nicht größeren Lockdowns kommt.

2        Homeoffice

Bei der Entscheidung über die Nutzung von Bürofläche als Alternative zum Homeoffice haben die Unternehmen die Kosten mit den Vorteilen zu vergleichen.

Während der Pandemie haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Vorteile der Heimarbeit zu schätzen gelernt. Viele Unternehmen und deren Führungskräfte konnten die Berührungsängste mit dem Thema Home Office ablegen. Flexible Arbeitsplatzkonzepte machen das Arbeiten von zu Hause einfacher und viele Arbeitgeber stellten fest, dass ihre Mitarbeiter genauso produktiv sind, wie vor Ort im Büro. Die Unternehmen können weiterhin davon profitieren, dass ihre Arbeitnehmer zufrieden sind. Durch die Arbeit von zu Hause lässt sich die Work-Life-Balance verbessern, da auch Zeit und Geld für z. B. Fahrten eingespart werden kann.

Dies dürfte aber nur dann vorteilhaft sein, wenn keine zusätzlichen Kosten in Form weiterer Abstimmungen, vermehrter Kontrollen oder daraus folgend höherer Ausgaben für Fehlerkorrekturen entstehen. Für Unternehmen können Faktoren wie das Fehlen der persönlichen Kommunikation, optimierter Arbeitsbedingungen und Gemeinschaftsgefühl zu Belastungen werden. Es lassen sich ebenfalls nur schwer kreative, neue Ideen entwickeln ebenso wie Projektarbeiten effizient durchführen. Hinzu kommen Risiken, die sich aus sicherheitsrechtlichen Bedenken und arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen („kein Arbeiten am Küchentisch“) ergeben. Beschäftigte beklagen ihrerseits die verschwimmenden Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben.

So verwundert es nicht, dass immer mehr Unternehmen ankündigen, künftig stärker auf Homeoffice zu setzen. Unternehmensvorstände zeigen aktuell ihre Fortschrittlichkeit gerne dadurch, dass sie aufzeigen, wie viele ihrer Mitarbeiter von zu Hause arbeiten können/dürfen. Dabei überbieten sie sich mit den Prozentangaben. Die Realität in der Wirtschaft sieht aber anders aus.

Unterschiedliche Entwicklungen haben sich seit dem Beginn der Pandemie in Deutschland vollzogen. Nach den Auswertungen der Mannheimer Corona-Studie (MCS; Universität Mannheim) war der Einstieg in die Lockdown-Phase im März radikal. Plötzlich blieben viele Bürobeschäftigten zu Hause, die Rückkehr ins Büro hingegen verläuft schrittweise.

Vor der Pandemie ging die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) davon aus, dass in Deutschland weniger als 5 Prozent der Arbeitnehmer permanent von zu Hause arbeiten. MCS schätzt für Januar 2020 (vor der Corona-Krise), dass knapp 20 Prozent der Beschäftigten in Deutschland gelegentlich oder häufig von zu Hause arbeiteten. Zu Beginn der Pandemie waren viele Arbeitnehmer komplett oder überwiegend zu Hause (gut 25 Prozent). Ab Mitte Mai erfolgte eine Differenzierung in der Statistik, danach arbeiteten 11 Prozent der Beschäftigten ganz im Homeoffice sowie rund 20 Prozent teils im Homeoffice und teils zu Hause. Bis Mitte Juli schrumpfte der Anteil derjenigen, die ausschließlich im Homeoffice waren, auf knapp 7 Prozent. Weiterhin arbeiteten 22 Prozent teils zu Hause und teils vor Ort. Weitere Erkenntnisse von MCS sind, dass 13,5 Prozent nicht von zu Hause arbeiten wollen und 31,7 Prozent sagen, dass Homeoffice in ihrem Beruf grundsätzlich nicht möglich ist. Vor allem Beschäftigte mit einem höheren Schulabschluss nutzen die Möglichkeit der Heimarbeit.

Nach dem Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt) arbeitet die Mehrheit der berufstätigen Internetnutzer allerdings auch während der Coronakrise nicht im Homeoffice. Schon vor der Krise waren 35 Prozent der erwachsenen berufstätigen Internetnutzer ab und zu im Homeoffice. 23 Prozent der Befragten waren mehrmals pro Woche im Homeoffice. Ende März erhöhte sich dieser Anteil auf 39 Prozent und Mitte Juni befanden sich nur noch 32 Prozent der Befragten mehrmals pro Woche im Homeoffice (letzte Befragung).

Insgesamt dürfte der Anteil der Arbeitnehmer im Homeoffice steigen. Ein wesentlicher Einfluss dabei ist auch der Wunsch der Beschäftigten und dieser besteht vielfach nur nach einigen, wenigen Tagen Homeoffice.

3        Auswirkungen von Homeoffice auf Büronutzung

Da Homeoffice die Bürotätigkeit nicht vollständig ersetzen wird, müssen die Unternehmen ihre Bürokonzepte anpassen und flexibilisieren. Je nachdem wie hoch der Anteil von Heimarbeit an der gesamten Arbeitszeit und wie groß ihre Flexibilität ist, kann dann auch weniger Fläche angemietet und somit Kosten eingespart werden. Es lassen sich zwei unterschiedliche Entwicklungen in der kürzeren und längeren Frist ausmachen.

Kurzfristig, d. h. während der anhaltenden Pandemie, ist nur mit bedingten Auswirkungen von Homeoffice auf die Nachfrage nach Büroflächen zu rechnen. Während sich viele Beschäftigte im Homeoffice befinden, bestimmen Abstands- und Hygieneregeln das Arbeiten in den Büros. Somit würde der Flächenbedarf je anwesendem Mitarbeiter steigen, wenn flexible Flächenkontingente vorgehalten werden müssen und zudem – auch als Folge der Pandemie – strengere Vorschriften gelten. Kehren die Arbeitnehmer ins Büro zurück, sind Maßnahmen zur Vermeidung des möglichen Wiederauftretens des Virus zu treffen. Nur unter Berücksichtigung einer vorsichtigen Wiederaufnahme sozialer Kontakte mit der Nutzung von separaten Arbeitsbereichen und neuer Hygienestandards lässt sich dieses realisieren. Sowohl das Gebäude (z. B. Umstellung der Flure) als auch der Arbeitsplatz selbst verändern sich erheblich. Flexible Großraumbüros passen eher nicht zu diesen Konzepten.

Mietentscheidungen werden von Unternehmen unter diesen Bedingungen vielfach erstmal aufgeschoben. Bestandsmietverträge werden eher wegen der konjunkturellen Folgen in Gefahr geraten als wegen der Verlagerung von Bürotätigkeit ins Homeoffice. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie stellen das viel größere Risiko für die Büronachfrage dar: insolvente Unternehmen brauchen keine Büroflächen.

Langfristig, d. h. nach der Pandemie, wird der Anteil der Beschäftigten, die ihre gesamte Arbeitszeit im Homeoffice verbringen, nur wenig über dem Ausgangsniveau vor der Pandemie liegen. Dies zeigen die von beiden Studien ermittelten Entwicklungen. Der Anteil der Beschäftigten, die teils vor Ort und teils zu Hause arbeiten, wird hingegen größer werden.

Mit der steigenden Flexibilität wachsen die Anforderungen an das Property-Management. Arbeitsplätze und -räume, die eine optimale Nutzung ermöglichen, erfordern ein entsprechendes Management. Ein Beispiel ist ein digitales Buchungssystem, um die Auslastung der Arbeitsplatz- und Raumangebote effizient zu steuern. Nur bei einem effizienten Arbeitsplatzmanagement können die Büroflächen reduziert werden. Für die gesamte Büroflächennachfrage werden jedoch auch in der längerfristigen Perspektive andere Faktoren eine sehr viel größere Rolle spielen, allen voran die weitere wirtschaftliche Entwicklung. In den letzten Jahren war die Wirtschaftsentwicklung dafür verantwortlich, dass der Gap zwischen Flächenbestand und genutzter Fläche abgebaut wurde, obwohl auch damals Homeoffice kontinuierlich wuchs.

4        Fazit

Noch ist es vielfach zu früh, um die Auswirkungen der Pandemie und ihrer Folgen auf die zukünftige Büroarbeitswelt sicher vorherzusagen. Flexible Homeoffice-Konzepte haben sich selbst unter vormals skeptischen Arbeitgebern wie Arbeitnehmern in der Krise etabliert. Gleichzeitig sind auch die Vorteile des klassischen Büros stärker zutage getreten. Somit wird zwar die Nutzung von Homeoffice gegenüber dem Vorkrisenniveau ansteigen, aber um Bürofläche einsparen zu können, ist ein effizientes Flächenmanagement notwendig.

Zusammenfassend würde das bedeuten, dass der Büroflächenbedarf durch Homeoffice bei weitem nicht so stark sinken wird. Falls ein Nachfrageeinbruch eintreten wird, so ist dies eher auf die ökonomischen Folgen der Pandemie zurückzuführen.